Nukleare Abschreckung
Nukleare Teilhabe in Deutschland
Auch wenn die Bedrohung durch Atomwaffen in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund geraten ist, ist sie nicht geringer geworden oder gar verschwunden. Überall auf der Welt werden Arsenale ausgebaut und erneuert. Selbst unter dem Friedensnobelpreisträger Barack Obama wurde Stockpile Stewardship mit riesigem Budget ins Leben gerufen.
In Büchel in Deutschland sind B61 Atombomben stationiert und die Luftwaffe denkt gerade darüber nach, neue Flugzeuge anzuschaffen, die für den Transport zertifiziert sind. Die Tornados der Luftwaffe sind ins Alter gekommen. Das wird ziemlich viel kosten und ich frage mich, ob das die beste Verwendung des Militäretats ist, oder ob vielleicht andere Anschaffungen für die Soldaten wichtiger sind.
Die Idee der atomaren Teilhabe stammt aus der Strategie des Kalten Krieges. Viele Politiker:innen sind in den Zeiten des kalten Krieges aufgewachsen und wurden davon geprägt. Die Begründung jeglicher atomaren Bewaffnung ist immer die Abschreckung eines Angriffs. Stellt sich die Frage von wem glauben wir dass er oder sie uns angreifen will? - Die Augen gehen nach Osten. Das Bundesverteidigungsministeriums nennt Russland als Bedrohung. Vor dem historischen Hintergrund und der aktuell unterkühlten Beziehungen ist dies eine nachvollziehbare Angst. Russland ist aus dem INF Vertrag ausgestiegen und mischt in diversen Kriegen mit.
Ich weiß nicht was Herr Putin will, aber würde ihm auch nicht blind vertrauen. Für diesen Blogeintrag möchte ich das Gedankenexperiment wagen, Putin wolle das Baltikum, Polen oder Deutschland wirklich angreifen, wie halten wir ihn davon?
Sind die Atomwaffen in Deutschland geeignet, um Russland abzuschrecken Polen, die baltischen Staaten und evtl. auch Berlin zu besetzen?
Nukleare Abschreckung
Ein Beispiel für nukleare Abschreckung ist Großbritannien. Die Briten setzen auf vier U-Boote mit Interkontinentalraketen (Trident II SLBMs), davon sind immer drei irgendwo im Einsatz. Jedes ist mit acht Raketen bestückt, jede Rakete trägt acht MIRVs die einen thermonuklearen W88 Sprengkopf transportieren. Das sind 3x8x8=192 Wasserstoffbomben mit bis zu 475kt yield.
Damit stellt Großbritannien glaubwürdig Vergeltungsmöglichkeit sicher. Selbst wenn, oder gerade wenn, die Insel in eine unbewohnte strahlende Wüste verwandelt wurde, muss dem Gegner damit rechnen ein ähnliches Schicksal zu erleiden. Selbst ein vernichtender Angriff auf Großbritannien wäre daher sehr kostspielig.
Um Abgeschreckt zu werden müssen potentielle Gegner um die Möglichkeit ihrer nuklearen Vernichtung wissen. Die Britische Regierung erklärt zum Einsatz nuklearer Waffen:
We are deliberately ambiguous about precisely when, how, and at what scale we would use our weapons. This ensures the deterrent’s effectiveness is not undermined and complicates the calculations of a potential aggressor. […] We would consider using our nuclear weapons only in extreme circumstances of self-defence, including the defence of our NATO allies
Das heißt Gegner:innen müssen auch bei konventionellen Angriffen mit einer nuklearen Antwort rechnen. Andere Staaten wie z.B. China sieht Atomwaffen nur als Antwort auf nukleare Angriffe vor.
Manchmal funktioniert Abschreckung nicht. Argentinien hat 1982 trotz der nuklearen Bedrohung einen Falklandkrieg mit Großbritannien angezettelt. Auch Al Quaida ließ sich nicht von der Übermacht des US-Militärs und ihren Interkontinentalraketen abschrecken.
Wann funktioniert Abschreckung
Dass Abschreckung funktioniert, müssen eine paar Kriterien erfüllt sein. Ich habe versucht das möglichst kurz zusammenzufassen:
- Wir kennen unsere Gegner (nicht irgendeine unbekannte Gruppe Terroristen oder Al Quaida)
- Wir können die Abschreckung kommunizieren (Die Drohung vernichtet zu werden kommt an, und unser gegenüber glaubt sie). Im Kontext Falklandkrieg vermute ich, dass Argentinien nicht geglaubt hat Thatcher würde Atomwaffen einsetzen. Zum Glück hat Thatcher das auch nicht getan.
- Die Gegner handeln rational (z.B. ist keine Apokalyptische Sekte die nicht mehr leben will)
- wir können glaubhaft ein, für unsere Gegner wertvolles Ziel bedrohen. z.B. Hauptstadt, Präsidentenpalast, Ölfelder… etc. Al Quaida oder Al Shabbab haben so etwas nicht.
Wenn wir aber an Russland denken, sind diese Kriterien erfüllt.
- wir kennen Russland.
- alle wissen dass die USA Raketen in Silos auf die Russen gerichtet hat.
- Putin handelt vielleicht manchmal überraschend aber immer sehr rational.
- Russland hat Infrastruktur und Metropolen.
Man kann daher argumentieren, dass nukleare Abschreckung gegen Russland funktioniert, denn sonst hätten uns die Russen schon lange angegriffen. (Gut, Finnland hat keine Atomwaffen, ist nicht in der NATO und wurde trotzdem nicht angegriffen)
Die Abschreckung die uns, glaube ich, im Kalten Krieg geholfen hat, ist aber schon etwas in die Jahre gekommen. Sie mag der NATO noch immer zur Abschreckung eines Angriffskrieges mit starken russischen Panzerverbänden die in Deutschland einfallen helfen.
Aber ist das ein so wahrscheinliches Kriegsszenario? Nicht nur Russland hat seine Strategie in der Kriegsführung geändert.
In der Ukraine wurden keine offiziellen russischen Truppen eingesetzt. Iran schickt keine Revolutionsgarden in den Yemen. Auf dem Schlachtfeld sind keine Truppen eines Nationalstaates. Oft existieren nur lose Kommandostrukturen und die Grenzen zwischen Aufständischen und Zivilbevölkerung sind fließend.
Ich sehe keinen Grund anzunehmen, Putin würde mit der russischen Armee das Baltikum besetzen, was unser Ausgangsszenario ist. Nachdem die Strategie in der Ukraine gut funktioniert hat, könnte ich mir vorstellen, dass diese kopiert wird. Zum Beispiel könnte eine russische Minderheit Baltikum sich “völlig unabhängig und aus eigenen Stücken” dazu entschließt gegen ihren Nationalstaat kämpfen.
Der Punkt ist: Es ist schwer diese “Unabhängikeitskämpfer:innen” oder Aufständischen nuklear abzuschrecken. Die NATO kann nicht ernsthaft in einem Bürgerkrieg Atombomben einsetzen.
Die Annektion der Krim konnten Atomwaffen genauso wenig abschrecken wie den Angriff auf die Türkei, ein NATO-Staat, aus Syrien. Meiner Meinung wäre der Bürgerkrieg in der Ukraine nicht verhindert worden, hätte die Ukraine ihr Kernwaffenarsenal nicht aufgegeben. Niemand würde (hoffentlich) Atomwaffen gegen Separatisten im Inland einsetzen.
Nukleare Teilhabe in Deutschland
Unser Gedankenexperiment geht von einem Angriff regulärer Truppen eines Nationalstaaten (Russland) aus. Wir wollen einen Angriff auf Deutschland und/oder NATO-Staaten abschrecken. Dafür sind wir in der NATO und Teil der Strategie der nuklearen Teilhabe.
In Deutschland haben wir keine nuklear betriebenen U-Boote die mit Interkontinentalraketen als Lebensversicherung irgendwo im Atlantik kreuzen. Die nukleare Teilhabe ist hier nicht einmal Mittelstreckenraketen (die sind nach dem INF Vertrag verboten). Deutschland hat B61 Wasserstoffbomben die mit Tornados (oder F35) transportiert werden müssen.
Die Reichweite eines Panavia Tornado beträgt 2500km. Ohne Luftbetankung, die über feindlichem Gebiet schwer wird, lässt sich kaum ein wertvolles Ziel aus Büchel angreifen.
Eine B61-MK11 Bombe wie sie in Büchel stationiert ist, hat einen Yield von 0.3-400kt und wurde gegen Bunkersysteme entwickelt. Das bedeutet sie wird auf der Erde oder unter der Erde gezündet (große lokale Energie). Dies verursacht aber massiven nuklearen Fallout, der weite Landstriche verseucht. Realistisch lässt sich diese Waffe also nicht auf besetztem Gebiet wie z.B. Polen oder den baltischen Staaten einsetzen. Selbst im Grenznahen Gebiet wie einem fiktiven Bunker bei Kaliningrad wird Polen mit Fallout belastet.
Wie sollten wir unseren Verbündeten erklären, dass sie jetzt zwar befreit sind aber ihr Heimatland nicht mehr bewohnen können? Dies können wir nicht wirklich glaubwürdig gegenüber Russland kommunizieren.
Natürlich kann die Bombe auch in der Luft gezündet werden (airburst, kein Fallout), die Frage ist gegen welche Ziele? Bunker werden so nicht zerstört. In der Vergangenheit wurde das gegen Städte eingesetzt.
Mit Luftbetankung über Polen käme ein Tornado sogar bis St. Petersburg und zurück (falls es keine Luftabwehr gibt). Eine 340kt Airburst Explosion zerstört St. Petersburg fast komplett.Simulation auf Nukemap
Dies wäre ein absolut verwerflicher und völkerrechtswidriger Akt. Es ist explizit verboten Waffen gegen die Zivilbevölkerung einsetzen und auch militärische Ziele sollen nur mit verhältnismäßigen Waffen eingesetzt werden.
Wir würden jegliche moralische Integrität verlieren. Ein Angriff auf eine Stadt hätte wahrscheinlich einen nukleare Antwort Russlands zur Folge - die Auswirkungen eines nuklearen Schlagabtauschs müssen nicht weiter erörtert werden.
Was genau können wir mit den B61 Bomben bedrohen?
Man könnte argumentieren wir brauchen die Bomben für strategisch wichtige Kommandobunker in einem großen unbewohnten Gebiet, die wir nicht konventionell zerstören können. Diesen Bunker gibt es (fast) nicht. Und wenn, dann erreicht man den mit den Flugzeugen nicht. Ein weiteres Ziel wäre eine große Ansammlung von Militär wie in einer Schlacht im Mittelalter. Aber das ist auch etwas aus der Vergangenheit, heute findet man solche Truppenanhäufungen hauptsächlich in Häfen und Kasernen. Beide sind nicht irgendwo im Nichts, sondern meist nahe bewohntem Gebiet. Ausserdem sind sie im Kriegsfall mit Luftabwehr besonders gesichert - die deutschen Tornados kommen wahrscheinlich gar nicht dorthin.
Als NATO Mitglied muss Deutschland mitmachen
Oft wird von Politiker:innen das Argument gebracht, dass wir an der nuklearen Teilhabe als NATO Mitglied beteiligt sein müssen bzw. sonst nicht ernst genommen werden oder mit abstimmen dürfen. Das ist offensichtlicher Blödsinn, denn auch Kanada, Spanien, Griechenland, das Baltikum und Norwegen sind NATO-Mitglieder ohne nukleare Teilhabe und sie werden ernst genommen.
Die Grundlegende Frage
Wie sieht überhaupt ein Ziel aus, das einen atomaren Angriff mit seinen verheerenden Folgen für tausende Menschen rechtfertigt?
Mir fällt keines ein. Selbst wenn russische Panzer Berlin besetzen, finde ich es unvertretbar, dafür St.Petersburg und seine Bürger in einen strahlenden Haufen Asche zu verwandeln - sorry Berlin.
Es gibt keinen realistischen oder gar legitimen Einsatzzweck dieser, in Deutschland stationierten, Waffen. Nachdem es keinen Einsatzzweck gibt bin ich der Meinung die Waffen sollten schnellstmöglich vernichtet werden.
Viele deutschen Politiker:innen unterstützen die nukleare Teilhabe als etwas fundamental wichtiges. Ich habe bisher aber noch in keinem Interview gelesen wofür die Waffen eingesetzt werden sollen.
Ich glaube auch dass die englische Doktrin “deliberately ambiguous” zu sein, eher daher rührt, dass sie kein moralisch vertretbares Einsatzszenario formulieren wollen oder könne.
Ich glaube, dass wir in Deutschland keine Atomwaffen oder eine “atomare Teilhabe” benötigen, bzw. die atomare Teilhabe keinen echten militärischen Nutzen im Ernstfall bietet.